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Was die künstliche Intelligenz für Anleihen bedeuten könnte

Brij Khurana, Fixed Income Portfolio Manager
2024-08-31
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„Wirtschaftliche Entwicklung in einer kapitalistischen Gesellschaft bedeutet Aufruhr“ – Joseph Schumpeter

Die Börse ist fasziniert vom Potenzial der künstlichen Intelligenz (KI), die US-Wirtschaft grundlegend zu verändern. Einem Indikator zufolge entfallen die ganzen Zugewinne des S&P 500 Index seit Jahresbeginn auf Aktien, die von der KI profitieren. Optimisten argumentieren, dass die KI so revolutionär ist wie das Internet in den 1990er Jahren und zu einem Produktivitätsschub führen könnte, der in den letzten beiden Jahrzehnten ausgeblieben ist.

Die vollständigen Auswirkungen und die endgültigen Anwendungsfälle der KI sind zum jetzigen Zeitpunkt kaum absehbar. Deshalb bleiben wir den Möglichkeiten dieser Technologie gegenüber aufgeschlossen. In diesem Beitrag befasse ich mich mit derzeit unterschätzten potenziellen Auswirkungen, falls die künstliche Intelligenz tatsächlich so transformativ ist, wie es der Aktienmarkt zu glauben scheint.

Schöpferische Zerstörung

Wenn Anleger versuchen abzuschätzen, wie die KI die Preise von Vermögenswerten beeinflussen könnte, legen sie meist ein mentales Modell aus den 1990er Jahren zugrunde. Das damalige „Goldlöckchen“-Umfeld, d.h. die Kombination aus hoher Produktivität, hohem Wachstum und niedriger Inflation, führte zu einem der ausgeprägtesten Bullenmärkte der Geschichte. Es gibt jedoch zwei wesentliche Unterschiede zwischen den heutigen Vermögenspreisen und der Ausgangssituation vor der Verbreitung des Internets Anfang der 1990er Jahre:

  1. Die US-Wirtschaft ist viel stärker konzentriert
  2. US-Aktien sind deutlich höher bewertet

Trotz des geringen Produktivitätswachstums haben sich US-Aktien in den letzten 13 Jahren gut entwickelt. In der Tat gab es viele Volkswirtschaften, die nach der globalen Finanzkrise ein schnelleres Wachstum verzeichneten und eine deutlich höhere Produktivität aufwiesen als die USA. Allerdings hat die Branchenkonzentration in den USA in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen – ein Trend, der sich im letzten Jahrzehnt mit den großen Technologieunternehmen noch verstärkt hat. Produktivität und Wachstum führen nicht zwangsläufig zu hohen Marktbewertungen. Der Markt ist jedoch bereit, hohe Preise für zuverlässige Cashflows und starke Wettbewerbsvorteile zu zahlen.

Die künstliche Intelligenz könnte dieser Dynamik nun möglicherweise ein Ende setzen. Sie könnte die Kosten für neue Marktteilnehmer bei Geschäftsmodellen senken, die bisher als unangreifbar galten – insbesondere in den Marktsegmenten mit den höchsten Gewinnspannen wie Software, Dienstleistungen und wenig kapitalintensive Modelle. In den Worten des Ökonomen Joseph Schumpeter, der den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ geprägt hat, bedeutet „wirtschaftliche Entwicklung in einer kapitalistischen Gesellschaft Aufruhr“. Die KI könnte in den USA somit ein stärkeres Wachstum und eine produktivere Wirtschaft bedeuten, aber nicht unbedingt gut für Aktien sein, wenn sie hoch bewertete Wettbewerbsvorteile untergräbt.

Energieverbrauch

Ein Aspekt der potenziellen KI-Revolution, der nur selten diskutiert wird, ist das Thema Energie. Zwischen dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und dem Energieverbrauch besteht eine starke exponentielle Korrelation. Mit anderen Worten: Wenn die KI die Produktivität wirklich grundlegend verändert, würde dies einen erheblichen Anstieg des Energieverbrauchs bedeuten, den der Markt bisher außer Acht gelassen hat.

In der Vergangenheit fielen große Produktivitätsfortschritte in der Regel mit der Entdeckung billigerer und dichterer Brennstoffe zusammen, z.B. Kohle in den 1800er Jahren und Öl in den späten 1800er und frühen 1900er Jahren. Vielleicht könnten Schieferöl und -gas jetzt diese Funktion übernehmen, aber die Unternehmen müssen diese Ressourcen erschließen, wenn die Produktivität mittel- bis langfristig wirklich steigen soll.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Der Rückgang der Schieferförderung beschleunigt sich und das Produktionswachstum verlangsamt sich. Anders ausgedrückt: Während allgemein davon ausgegangen wird, dass die KI eine disinflationäre Wirkung haben wird, und dies wahrscheinlich auch für den Faktor Arbeit zutrifft, könnte es kurzfristig zu einem Anstieg der Energiepreise kommen.

Implikationen für die Rentenmärkte

Bisher hat der Markt das Potenzial der künstlichen Intelligenz nach dem Entwicklungsmuster der 1990er Jahre behandelt, das durch starke Aktienkurse, engere Kreditspreads und niedrigere Inflationserwartungen gekennzeichnet war. Dies hat zu einer flacheren Renditekurve geführt. Wenn die KI wirklich transformativen Charakter hat, könnte in vielerlei Hinsicht aber auch das Gegenteil der Fall sein:

  • Der Verlust von Wettbewerbsvorteilen in einer wettbewerbsintensiveren Wirtschaft könnte zu niedrigeren Aktienkursen und höheren Kreditspreads führen.
  • Kurzfristig könnten die Energiepreise steigen, obwohl sich die Lohn- und Kerninflation verlangsamen könnte, wenn die Kapitalnachfrage die Arbeitsnachfrage verdrängt.
  • Die Renditekurve dürfte aufgrund steigender langfristiger Wachstumsannahmen steiler werden, während die Zinssätze am vorderen Ende der Kurve aufgrund einer Entspannung am Arbeitsmarkt sinken könnten.

Diese Einschätzung lässt sich vielleicht am besten anhand von fünfjährigen inflationsgeschützten US-Schatzanweisungen (TIPS) umsetzen. Diese Anleihen könnten von einem Anstieg der Gesamtinflation profitieren, aber auch von einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt durch die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz. Dies könnte bedeuten, dass die US-Notenbank weniger aggressiv vorgehen wird, da sie sich bislang auf die lohnabhängige Kerninflation konzentriert hat.

Abbildung 1
Renditedifferenz

Gleichzeitig könnte es überzeugende Argumente für den Verkauf langfristiger Unternehmensanleihen geben, bei denen die Kreditrisikoprämie angesichts der längerfristigen Bedrohung der Geschäftsmodelle durch KI zu niedrig ist. Die Renditekurve könnte angesichts der höheren langfristigen Wachstumserwartungen steiler werden. Die Renditedifferenz zwischen fünfjährigen TIPS und länger laufenden Unternehmensanleihen ist derzeit auf dem niedrigsten Stand seit Einführung der TIPS als Anlageklasse. Meiner Meinung nach stellt dies einen sehr attraktiven Einstiegspunkt dar.

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Brij Khurana

Fixed Income Portfolio Manager