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Deglobalisierung und Divergenz: Chance oder Bedrohung?

John Butler, Macro Strategist
Supriya Menon, Head of Multi Asset Strategy - EMEA
2024-10-31
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Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen der Autoren zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert einer Anlage kann gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Investition steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger.

Nachdem die Volkswirtschaften der Welt über Jahrzehnte hinweg immer enger miteinander verflochten waren, deuten unsere Analysen darauf hin, dass wir nun in ein neues Umfeld eintreten, das durch eine höhere Volatilität der Rahmenbedingungen und eine größere Divergenz zwischen den Ländern gekennzeichnet ist. Dieser Rückzug aus der Globalisierung wird oft negativ gesehen. Aus der Sicht eines Anlegers ist unseres Erachtens allerdings eine differenziertere Betrachtung angebracht. Im Folgenden untersuchen wir die makroökonomischen Faktoren, die zu diesen größeren Unterschieden zwischen den Volkswirtschaften führen, und erläutern einige der wichtigsten Implikationen für Portfolios.

Unterschiedliche makroökonomische Bedingungen – ein Überblick

Aus makroökonomischer Sicht bedeuten diese neuen Rahmenbedingungen eine strukturell höhere Inflation, kürzere und volatilere Konjunkturzyklen, eine geringere Verfügbarkeit von Arbeitskräften und stärker fragmentierte globale Lieferketten, die durch zunehmende geopolitische Rivalitäten und den Klimawandel noch verschärft werden. Und während die Globalisierung die Einkommensungleichheit zwischen den Ländern verringert hat, ist sie innerhalb der einzelnen Länder stark gestiegen. Heute wird der Konsens über eine zunehmende Globalisierung der Welt offen infrage gestellt. Verschiedene Regierungen haben begonnen, eine Politik zu verfolgen, die die heimische Nachfrage und Industrie in kritischen Bereichen wie der Energiewende und Technologie stützt. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Handelsbeschränkungen rapide zu (Abbildung 1), was die Divergenz weiter beschleunigt. Auch die Zentralbanken werden wahrscheinlich parallel zu den sich verändernden nationalen Konjunkturzyklen und regierungspolitischen Ausrichtungen unterschiedliche Wege einschlagen. 

Abbildung 1

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Ein unverändertes Marktnarrativ

Trotz dieser Entwicklungen spiegeln die Marktkurse weiterhin eine wirtschaftliche Konvergenz und eine enge Abstimmung der Zentralbanken unter der Führung der US-Notenbank (Fed) wider. Der Markt scheint davon auszugehen (Abbildung 2), dass die Fed den Zinserhöhungs- und anschließenden Zinssenkungszyklus weiterhin anführen wird und andere Zentralbanken in unterschiedlichem Maße, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung, folgen werden. Die Bank of Japan dürfte unterdessen an ihrem aktuellen Kurs festhalten. Dies ist das Muster, das seit 1998 vorherrscht, und der Markt scheint derzeit davon auszugehen, dass es immer so bleiben wird.

Abbildung 2

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Drei Faktoren könnten dazu beitragen, diese anhaltende Erwartung einer von der Fed angeführten geldpolitischen Konvergenz zu erklären:

  • Ein Mangel an „eigenständigem“ Denken: Die Zentralbanken orientieren sich alle an ähnlichen Regeln. An dieser Sichtweise mag zwar etwas Wahres dran sein, wir glauben jedoch, dass dieser Konsens angesichts der unterschiedlichen Inflationsniveaus in den verschiedenen Ländern ins Wanken geraten könnte.
  • Kapitalströme: Die zunehmende Globalisierung hatte zur Folge, dass die Währung eines Landes, dessen Geldpolitik sich zu weit von der der Fed entfernte, aufwertete, was de facto zu einer Besteuerung des Wachstums führte.
  • Von den USA angeführtes globales Wachstum: Seit Ende der 1990er Jahre hat die Welt gewissermaßen von den Konsumausgaben der USA „gelebt“. Vereinfacht gesagt haben Länder wie China, Deutschland und Japan riesige Ersparnisse angehäuft, indem sie die Welt mit Konsum- und Investitionsgütern versorgt haben. Dadurch waren die USA (und das Vereinigte Königreich) in der Lage, anhaltende Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren. Angesichts der Bedeutung der US-Konjunktur für den Rest der Welt war es nur natürlich, dass andere Zentralbanken dem Kurs der Fed folgten.

Rückkehr zu einer stärkeren Streuung

Vor den späten 1990er Jahren und insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren hatten andere Länder ihre eigenen Zyklen der Binnennachfrage, mit erheblichen Unterschieden im (realen und nominalen) Wachstum zwischen den Ländern und ohne signifikante Ausreißer bei den realen und nominalen Verbraucherausgaben. Auch die Fiskal- und Geldpolitik bewegte sich zeitweise in sehr unterschiedliche Richtungen.

Zwar dauert es seine Zeit, bis sich etablierte Muster ändern, unsere Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zu diesem früheren Umfeld groß ist. Die wichtigsten Entwicklungen in diesem Zusammenhang sind:

  • Bewusste politische Entscheidungen in Europa und Japan, mehr Einkommen und Ersparnisse von den Unternehmen und vom Staat an die privaten Haushalte zu verteilen. Von der COVID-Pandemie bis zur Krise der Lebenshaltungskosten – die Nachteile für die privaten Haushalte wurden weitgehend von den Regierungen aufgefangen. Infolgedessen gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Binnennachfrage in beiden Regionen angekurbelt wird. Der Abbau von Leistungsbilanzüberschüssen hat einen sekundären Effekt: Die Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten in anderen Bereichen wird sehr viel teurer.
  • Die kumulierte Sparquote in China könnte angesichts des begrenzten sozialen Sicherungsnetzes eher struktureller Natur sein. Dennoch gehen wir davon aus, dass ein stärkerer Binnenkonsum ein wichtiger Motor für das künftige Wachstum sein wird.  

Das Wachstum wird in jeder dieser Regionen bereits heute mehr durch den Dienstleistungssektor als durch das verarbeitende Gewerbe bestimmt, und wenn die Binnennachfrage, wie von uns erwartet, an Bedeutung gewinnt, werden sich die Verflechtungen zwischen einzelnen Volkswirtschaften und die Preisbildung an den Märkten verändern, was erhebliche Auswirkungen auf die langfristigen Zinsen und eine ganze Reihe von Vermögenswerten haben wird.

Folgen für die Vermögensallokation

Aus Sicht der Vermögensallokation haben die höhere Volatilität und die Unterschiede zwischen den Regionen vielfältige Auswirkungen, die – entgegen gängiger Erwartungen – nicht alle negativ sind. Volatilität erhöht das Risiko, bietet aber auch Chancen. Anleger müssen daher sorgfältig überlegen, wie sie ihren Portfolioansatz anpassen.

Auf der positiven Seite bieten unterschiedliche Rahmenbedingungen Folgendes:

  • Ein breiteres Chancenspektrum: Und zwar in sämtlichen Phasen des Konjunkturzyklus, da sich die Volkswirtschaften zunehmend mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch den Konjunkturzyklus bewegen und die Länder eine größere Kontrolle über die Auswirkungen ihrer Fiskal- und Geldpolitik haben. Aus systemischer Sicht verringert dies die Wahrscheinlichkeit, dass die Weltwirtschaft nur einen „Fehltritt der USA“ von einer globalen Rezession oder Krise entfernt ist.
  • Größeres Potenzial für die Widerstandsfähigkeit eines Portfolios: Auch wenn die Volatilität höher ist, können eine größere Streuung zwischen den Regionen und eine zunehmende Abhängigkeit von inländischen Einflussfaktoren das Potenzial für Anleger erhöhen, die Widerstandsfähigkeit ihrer Portfolios zu verbessern und das Gesamtrisiko zu verringern, da diese Entkoppelung einen positiven Effekt haben dürfte.

Auf der negativen Seite haben die geringeren Korrelationen ihren Preis:

  • Höhere Volatilität: Die Volatilität und Unvorhersehbarkeit der Vermögenspreise wird durch stärker ausgeprägte und voneinander abweichende Zyklen zunehmen.
  • Geringere Produktivität: Die Deglobalisierung wird die Produktivitätsgewinne aufzehren, die durch den Abbau von Handelsschranken und die Effizienz globaler Lieferketten erzielt wurden. Dies könnte zu geringerem Wirtschaftswachstum, höherer Inflation und letztlich zu niedrigeren Vermögensrenditen führen.
  • Tragfähigkeit der Verschuldung: Die massiven Transferzahlungen, die die Regierungen in den letzten Jahren zur Unterstützung ihrer Bürger geleistet haben, werfen Fragen zur Schuldentragfähigkeit auf, zumal der Weg zu einer Haushaltskonsolidierung angesichts des aktuellen Trends zu polarisierender und populistischer Politik schwerer vorstellbar ist. In Verbindung mit einem Rückgang der weltweiten Handelsströme könnten diese höheren Haushaltsdefizite zu einer höheren und hartnäckigeren Inflation beitragen, aber auch zu einem Anstieg der Laufzeitprämien, da die Anleger eine höhere Entschädigung für das eingegangene Risiko verlangen. Dies könnte wiederum die Bewertungen eines breiten Spektrums von Vermögenswerten sowohl an den öffentlichen als auch den privaten Märkten unter Druck setzen.

Um in diesem neuen Umfeld erfolgreich zu sein, sollten Anleger unseres Erachtens bei der Zusammenstellung ihres Portfolios sehr überlegt und systematisch vorgehen und dabei die vorstehend genannten Chancen und Risiken berücksichtigen. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Systematische Analyse von Faktor- und Beta-Engagements;
  • Optimale Nutzung aktiver, researchorientierter Ansätze, sowohl auf Wertpapier- als auch auf Themenebene;
  • Verstärkte geografische Diversifizierung zwischen Industrie- und Schwellenländern, wobei die länderspezifischen Risiken der Schwellenländer genau beobachtet werden müssen;
  • Währungsabsicherung, da eine höhere Währungsvolatilität die Argumente für eine Absicherung des Währungsrisikos in den Portfolios stärken kann; und
  • Höhere Allokationen in alternativen Anlagen zur weiteren Diversifizierung und zum Schutz der Portfolios vor Volatilität durch potenziell unkorrelierte Erträge.

Fazit

Auf der Grundlage unserer Analysen gehen wir davon aus, dass wir zu einem durch makroökonomische Unterschiede geprägten Umfeld zurückkehren. Anleger sollten sich darauf vorbereiten und die vorstehend genannten Überlegungen bei der Anpassung ihrer Vermögensallokation berücksichtigen.

Experten

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John Butler

Macro Strategist
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Supriya Menon

Head of Multi Asset Strategy - EMEA