Vier mögliche Szenarien für das Jahr 2026
1. Der Markt geht (vorerst) weiterhin von einem Goldlöckchen-Szenario aus
Betrachtet man verschiedene Anlageklassen, so scheint es, als erwarteten die globalen Märkte nach wie vor eine Fortsetzung des nicht-inflationären Wachstumsszenarios, das die Weltwirtschaft vor 2018 geprägt hat. Nur so lassen sich die folgenden Faktoren in Einklang bringen:
- Erhöhte Aktienbewertungen und starke Erwartungen hinsichtlich des Gewinnwachstums pro Aktie, insbesondere in Bereichen mit Bezug zu KI
- Enge Credit Spreads
- Langfristige Anleihekurse, die niedrige Inflationserwartungen (Breakeven-Sätze) widerspiegeln, obwohl weitere Zinssenkungen der Zentralbank auf ein neutrales oder leicht darunter liegendes Niveau eingepreist sind.
Dieses Szenario hängt maßgeblich vom Erfolg der KI ab. Wenn die positiven Auswirkungen von KI-gestützten Produktivitätssteigerungen die negativen Effekte von Zöllen und zunehmendem Protektionismus überwiegen, könnte die Nachfrage in der Wirtschaft hoch bleiben, ohne die Inflation anzukurbeln.
Welche Auswirkungen hätte das auf die Vermögenspreise?
In diesem Umfeld dürften Aktien weiter zulegen, während die Credit Spreads eng bleiben und die Renditen von Staatsanleihen leicht steigen sollten, um das verbesserte Trendwachstum widerzuspiegeln. Ja, die Arbeitslosenquoten könnten aufgrund von KI-bedingten Entlassungen vorübergehend steigen. Die Politik könnte jedoch mit einer Lockerung der Geldpolitik reagieren, da die Produktivität die Inflation niedrig hält.
Angesichts der wahrscheinlichen Abschwächung des Arbeitsmarktes und der gesunkenen, aber immer noch erhöhten Inflation dürfte diese Sichtweise vorerst am Markt bestehen bleiben. Unsere Analyse deutet jedoch darauf hin, dass dies für 2026 nicht das wahrscheinlichste Ergebnis sein wird.
2. Höheres Wachstum mit Inflation – das wahrscheinlichste Szenario
Warum? Das nominale globale Wachstum ist nach wie vor stark. Allerdings liegt die Inflation in den meisten Industrieländern weiterhin über dem Zielwert von 2%. Dennoch halten die politischen Entscheidungsträger weiterhin an ihrer expansiven Geldpolitik fest, wie die folgenden Faktoren belegen:
- Die globale Liquidität befindet sich nahe Allzeithochs und könnte das nominale Wachstum weiter stützen, wenn sie eingesetzt wird.
- Es werden staatliche Initiativen zur Ankurbelung der Kreditvergabe ergriffen, einschließlich der Deregulierung des Bankwesens, obwohl sich die Kreditbedingungen für den privaten Sektor in vielen Ländern bereits entspannen.
- Die realen globalen Zinssätze liegen derzeit bei null und könnten bald wieder negativ werden.
- Es steht eine fiskalische Expansion bevor, bei der Industrieländer die stärkste fiskalpolitische Lockerung seit 2010 (mit Ausnahme der Jahre der Corona-Pandemie) planen.
Diese Konjunkturmaßnahmen erfolgen zu einem Zeitpunkt, an dem die Weltwirtschaft von mehreren inflationären Angebotsschocks getroffen wird:
- Die Einführung von US-Zöllen und die zunehmenden protektionistischen Reaktionen aus dem Rest der Welt stellen einen erheblichen negativen globalen Angebotsschock dar. So wie die Globalisierung die weltweite Inflation bei Gütern verringert hat, da Kapital so zu den jeweils kostengünstigsten Produzenten fließen konnte, werden Protektionismus und eine zunehmende Fokussierung auf Versorgungssicherheit hier wieder zu einem Anstieg führen.
- Die zunehmenden Bemühungen Chinas, Kapazitäten in vielen Sektoren zu reduzieren, anstatt sie weiter auszubauen, könnten ebenfalls zu einer hartnäckigeren Inflation beitragen.
Sollte das durch KI getriebene Produktivitätswachstum ausbleiben, wären die Voraussetzungen für einen inflationären Aufschwung im Jahr 2026 gegeben, da die politischen Maßnahmen bei einem schwächeren Angebot die Nachfrage ankurbeln würden. Auch wenn dieses Thema derzeit noch nicht im Vordergrund steht, könnten Anzeichen einer Stabilisierung des Arbeitsmarktes zu einer Marktverlagerung führen, wenn deutlich wird, dass die Wirtschaft nicht über genügend Überkapazitäten verfügt, um die Inflation zu senken.
Welche Auswirkungen hätte das auf die Vermögenspreise?
Entscheidend ist die Reaktion der Politik. Ein inflationärer Aufschwung kann für Risikoanlagen immer noch von Vorteil sein: Ein starkes nominales Wachstum dürfte die Aktienkurse beflügeln und die Credit Spreads im Zaum halten. Außerdem würde so die Wahrscheinlichkeit steigen, dass die Renditen in den Industrieländern strukturell höher ausfallen. Die Rally bei Risikoanlagen könnte so lange anhalten, bis die Politik aufhört, dem Wachstum Vorrang einzuräumen, und stattdessen versucht, die Inflation durch eine straffere Geldpolitik einzudämmen, oder bis der Anleihemarkt die „unangemessene” Reaktion der Politik bestraft und durch höhere Laufzeitprämien eine Straffung erzwingt. Rentenanleger werden zumindest Daten sehen wollen, die die Unangemessenheit einer lockeren Geldpolitik in dieser Phase des Konjunkturzyklus belegen. Das könnten beispielsweise deutliche Anzeichen für eine Erholung des Arbeitsmarktes sein. Allerdings könnte es noch einige Zeit dauern, bis diese sichtbar werden. Unserer Ansicht nach tendieren die kurzfristigen Risiken für den globalen Arbeitsmarkt eher nach unten, insbesondere in den USA. Je länger es dauert, bis Anzeichen einer Stabilisierung sichtbar werden, desto größer wird aber das Risiko, dass die Politik die Voraussetzungen für einen Boom und anschließenden Einbruch schafft.
3. Geringere Wahrscheinlichkeit einer Rezession
Wir können das Risiko einer Rezession im Jahr 2026 nicht vollständig ausschließen. Dabei gibt es viele mögliche Auslöser, einige wären aber für Risikoanlagen gravierender als andere. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass die Auswirkungen der bereits im System zu spürenden Zölle und Inflation schwerwiegender sind als von den Wirtschaftsmodellen prognostiziert. Angesichts der lockeren Geldpolitik und der geringen Verschuldung des privaten Sektors entspricht dieses Szenario jedoch eher einer vorübergehenden Konjunkturverlangsamung.
Für uns ergeben sich die größeren Rezessionsrisiken aus den folgenden potenziellen Impulsen:
- Der Markt könnte seine Erwartungen zur KI in Bezug auf die zeitliche Entwicklung oder die zukünftigen Gewinne zurückschrauben, was eine starke Korrektur am Aktienmarkt auslösen und die Wahrnehmung der privaten Haushalte in Bezug auf ihr Vermögen beeinträchtigen könnte.
- Die anhaltende Unsicherheit und die mangelnde Haushaltsdisziplin könnten zu einer Zunahme der Sparquoten im privaten Sektor führen. In weiten Teilen Europas ist eine solche Tendenz bereits zu beobachten. Sollte diese Reaktion anhalten, hätte sie stark deflationäre Auswirkungen, ähnlich wie in Japan in den 1990er Jahren.
Welche Auswirkungen hätte das auf die Vermögenspreise?
Wir halten das Risiko einer nicht-inflationären Rezession im Jahr 2026 nach wie vor für relativ gering, wenngleich es steigt. Sollte es zu einer Rezession kommen, käme es vermutlich zu einer Verkaufswelle am Aktienmarkt, während Anleihen (zumindest anfangs) zulegen und die Credit Spreads sich stark ausweiten würden. Wenn die Rezession durch eine KI-getriebene Korrektur ausgelöst würde, hätte das wahrscheinlich auch einen deutlich schwächeren US-Dollar zur Folge.
4. Stagflation: ebenfalls ein Extremrisiko, das es zu beobachten gilt
Dies stellt zwar derzeit nur ein Extremrisiko dar, einige Volkswirtschaften, insbesondere das Vereinigte Königreich, lassen aber bereits Anzeichen einer Stagflation erkennen. Diese könnte sich durch einen eskalierenden Protektionismus noch verschärfen. Ein deutliches Anzeichen dafür wäre eine steigende Inflation bei gleichzeitig sinkenden Beschäftigungszahlen. Dieses Risiko ist aus den folgenden Gründen relevant:
- Es wäre für Risikoanlagen äußerst negativ.
- Die politischen Entscheidungsträger könnten die Fehler der Vergangenheit wiederholen, indem sie ihre Geldpolitik lockern, anstatt die Inflation zu bekämpfen, ähnlich wie dies Anfang der 1970er Jahre der Fall war.
Welche Auswirkungen hätte das auf die Vermögenspreise?
Eine Stagflation, insbesondere wenn sie länger andauert, wäre für Aktien und Credit Spreads besonders negativ, würde aber vermutlich auch höhere Anleiherenditen aufgrund der Entwicklung der Breakeven-Raten und Laufzeitprämien bedeuten.
Fazit
Wie in Abbildung 2 zusammengefasst, halten wir einen inflationären Aufschwung im Jahr 2026 für das wahrscheinlichste Szenario. Vorerst könnten sich die Märkte noch an das Goldlöckchen-Szenario klammern, bevor sie sich auf die neue Realität eines hohen nominalen Wachstums einstellen. Das Risiko einer Rezession und sogar einer Stagflation ist zwar deutlich geringer, kann aber nicht ausgeschlossen werden.