Auf dem aktuellen Niveau sollten Zölle die Neubewertung europäischer Anlagen nicht aus dem Tritt bringen
Nach der deutschen Zeitenwende bei der Fiskalpolitik hatte eine Neubewertung des strukturellen Wachstumspotenzials Europas und europäischer Anlagen begonnen. Dann kamen die Zölle. Durch den 90-Tage-Aufschub der Trump-Regierung hat sich die wohl unvermeidliche Belastung für das Wachstum der Eurozone zunächst reduziert. Die Zölle werden aber trotzdem erhebliche Auswirkungen auf das BIP haben – ein globaler Zoll von 10% und Zölle von 150% für China dürften das europäische Wachstum in diesem Jahr um rund 1% reduzieren.
Wird dies die Neubewertung europäischer Anlagen verglichen mit anderen Märkten infolge der Änderung der deutschen Fiskalpolitik aus dem Tritt bringen? Kurz gesagt sind wir der Meinung, dass sich die strukturelle Neubewertung Europas auf relativer Basis fortsetzen dürfte, sofern sich die drastischsten Szenarien für Zölle und Handelskriege vermeiden lassen. Die US-Zölle könnten dies sogar noch beschleunigen.
Falls die Zölle auf diesem Niveau bleiben, sollte der Effekt der von Deutschland angekündigten fiskalpolitischen Maßnahmen längerfristig überwiegen – wir würden diesbezüglich einen Wachstumsschub von mindestens 1 Prozentpunkt pro Jahr in Deutschland und von 0,3 Prozentpunkten in der Eurozone für die nächsten zwölf Jahre erwarten.
Darüber hinaus sind Zölle war ein recht stumpfes Instrument für das Reduzieren von Handelsungleichgewichten zwischen Europa und den USA, andererseits bedeutet dies vermutlich auch, dass weniger Kapital von Europa in US-Anlagen fließt – was ebenfalls zum Schließen der sehr großen Bewertungslücke zwischen den beiden Märkten beitragen sollte. Europäische Anleger haben Kapital im Bereich von 15 Billionen US-Dollar in US-Anlagen investiert, was nun ebenfalls einer Prüfung unterzogen und teilweise zurück nach Europa fließen könnte.
Was würde die Einschätzung schwieriger machen?
Die US-Zollpolitik könnte immer noch eskalieren und sich auf einen globalen Handelskrieg ausweiten. Die Wahrscheinlichkeit ist nun aber gesunken, da Präsident Trump von den aggressivsten Zollszenarien wieder abgerückt ist. Dies ist aber weiterhin ein Risiko, das im Auge behalten werden muss.
Die Handelsgespräche zwischen den USA und der EU könnten scheitern. Die EU kann anbieten, mehr Flüssigerdgas (LNG) und Militärausrüstung von den USA zu kaufen. Falls die USA nicht bereit sind, ihre Forderungen in Bezug auf Entschädigungen, die Mehrwertsteuer und nichttarifäre Handelshemmnisse zu lockern, wird es aber schwierig sein, zu einer Einigung zu kommen. Sollten die Gespräche scheitern und sowohl die USA als auch Europa gegenseitig die Zölle erhöhen, würde sich der Wachstumsschock entsprechend verstärken. Europa würde ebenfalls die Wachstumsbelastung erhöhen, wenn Zölle für andere Länder zum Schutz der eigenen Wirtschaft gegen Dumping erhöht werden – beispielsweise für China.
Was könnte das für die EZB bedeuten?
Durch die Entwicklungen der vergangenen Wochen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit weiterer Lockerungsmaßnahmen durch die EZB. Ein BIP-Schock von 1 Prozentpunkt durch US-Zölle erfordert eine zusätzliche Lockerung von 25-50 Basispunkten, um die Wachstumsbelastung auszugleichen. Durch den stärkeren Euro und deutlichen Rückgang der Rohstoffpreise sollte auch die Inflation zurückgehen. Die EZB hatte vor der Einführung der Zölle Zinssenkungen auf ca. 2% geplant. Dies lässt eher auf einen endgültigen Zinssatz von ungefähr 1,50%-1,75% oder etwas darunter (falls der Euro weiter aufwertet) schließen. Längerfristig dürfte eine handelspolitische Fragmentierung aber dafür sorgen, dass Wachstum eine stärker inflationäre Wirkung hat, wodurch der EZB Grenzen gesetzt wären, wie lange sie die Zinsen so niedrig halten kann.
Die EZB hat allerdings das Problem, dass ihre eigenen Analysen darauf hindeuten, dass diese Fragmentierung letztendlich zu einer deutlichen Verschlechterung der Wechselbeziehung zwischen Wachstum und Inflation führen dürfte. Dies könnte für eine gewisse Vorsicht dahingehend sorgen, wie schnell die Zentralbank an diesen Punkt kommen möchte.
Fürs erste könnte die Fiskalpolitik die Oberhand haben
Insgesamt sollte die strukturelle Neubewertung europäischer Anlagen gegenüber anderen Märkten zu den aktuellen Zollniveaus Bestand haben – der fiskalpolitische Kurswechsel Deutschlands dürfte den Wachstumsschock überwiegen, und die Auswirkungen der US-Zölle auf die Kapitalströme zwischen Europa und den USA könnten sogar dazu beitragen, dass sich die Bewertungslücke zwischen den beiden Märkten verringert. Weniger klar wäre die künftige Entwicklung allerdings, falls wir beim Welthandel in eine Phase mit mehr Eskalationen und Vergeltungsmaßnahmen eintreten.