Was wir beobachten
Vorübergehende fiskalpolitische Lockerungen durch eine notfallmäßige Aufhebung der verfassungsmäßigen Schuldenbremse scheinen plausibel. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Merz größere, dauerhaftere Änderungen an der Schuldenbremse vornehmen wird.
Auf dem Papier sieht das schwierig aus. Die etablierten Parteien verfügen nicht über die erforderliche Zweidrittelmehrheit, um entweder einen neuen verfassungsrechtlich geschützten Investitionsfonds zu schaffen oder die Regeln selbst zu lockern. Die Linke – die de facto nun ein Vetorecht hat – ist nicht gegen eine Änderung der Schuldenbremse, könnte aber entweder Vorschläge aus politischen Gründen blockieren oder nur schwer akzeptierbare Beschränkungen für zusätzliche Verteidigungsausgaben oder die Unterstützung der Ukraine fordern.
Es gibt jedoch immer noch einen Weg, der in den kommenden Quartalen zu einer größeren finanzpolitischen Veränderung in Deutschland führen könnte. Merz prüft angeblich die Möglichkeit, die letzten Wochen der laufenden Legislaturperiode, in der die Parteien der Mitte über eine komfortable Zweidrittelmehrheit verfügen, für die Verabschiedung eines neuen verfassungsrechtlich geschützten Militärfonds in Höhe von 200 Milliarden Euro zu nutzen. Nachdem das geschafft ist, könnte die CDU/CSU versuchen, im nächsten Parlament mit der Linken zusammenzuarbeiten, um die Haushaltsregeln zu lockern. Ein möglicher Kompromiss könnte höhere Sozialausgaben beinhalten.
Kurz gesagt, die Aussichten für die deutsche Finanzpolitik sind nach wie vor zweigeteilt: Entweder bleibt die Finanzpolitik strukturell restriktiv und die Schuldenbremse bleibt unverändert, oder sie wird expansiver als die Märkte derzeit erwarten.
Was mit den Haushaltsregeln geschieht, hat erhebliche Auswirkungen auf die Wachstumsaussichten Deutschlands. Die strengen Haushaltsregeln des Landes sind nicht die eigentliche Ursache für das schwache Wachstum, aber sie tragen wesentlich zu der vorherrschenden Malaise bei. Die öffentlichen Investitionen in Deutschland gehören zu den niedrigsten in Europa. Und die strukturell restriktive Finanzpolitik hat es Deutschland erschwert, von einem exportorientierten Wachstumsmodell zu einem ausgewogeneren Modell überzugehen, bei dem die Binnennachfrage eine größere Rolle spielt.
Auswirkungen auf Europa
Je mehr Die Linke dem neuen Kanzler das Leben schwer macht, desto mehr könnte Merz nach europäischen Lösungen suchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass bestehende europäische Programme wie der Europäische Stabilitätsmechanismus und der Aufbauplan NextGenerationEU wiederverwendet werden, ist daher gestiegen. Dennoch könnte der Mangel an fiskalischer Flexibilität die Fähigkeit Deutschlands einschränken, neue Initiativen zu ergreifen.
Mit Blick auf die Zukunft könnte diese Legislaturperiode die letzte Gelegenheit für Deutschlands etablierte Parteien sein, die Wähler davon zu überzeugen, in der politischen Mitte zu bleiben und das europäische Projekt zu unterstützen. Jedes weitere Erstarken der AfD und ihre Fähigkeit, die Brandmauer zu durchbrechen, würde das existenzielle Risiko für Europa verstärken.
Kurzfristige Implikationen für Investitionen
Bei festverzinslichen Wertpapieren geht der Markt nach unseren Schätzungen von einer 60-prozentigen Chance aus, dass die nächste Regierung in der Lage sein wird, die Schuldenbremse zu lockern – basierend darauf, wie deutsche Anleihen im Vergleich zu ähnlichen festverzinslichen Wertpapieren und Swaps gehandelt wurden. Dies deutet auf möglichen Spielraum für einen weiteren Ausverkauf bei deutschen Staatsanleihen hin, wenn es Merz gelingt, einen neuen Militärfonds durchzusetzen und die Schuldenbremse mit Hilfe von Die Linke zu ändern. Andererseits könnten die Bedenken über die Tragfähigkeit des Euroraums wieder aufleben und die stärker verschuldeten Mitglieder erneut unter Druck setzen, wenn Deutschland nicht zu einer Stärkung des europäischen Zusammenhalts beitragen kann.
Aus der Aktienperspektive dürfte selbst eine bescheidene fiskalische Lockerung den bisher unterdurchschnittlich abschneidenden Anlagen helfen. Während sich der DAX mit einer Rendite von rund 50 Prozent in den letzten zwei Jahren als widerstandsfähig erwiesen hat, ist diese solide Performance hauptsächlich auf das internationale Engagement des Index zurückzuführen. Im Gegensatz dazu wird der eher inländisch orientierte MDAX auf 12-Monats-Basis immer noch mit einem Abschlag gegenüber dem DAX gehandelt. Dies war zuletzt auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise der Fall. Das deutet darauf hin, dass ein selektives Engagement in inländischen deutschen Aktien immer noch bedeutendes Potenzial bieten könnte, falls die neue Regierung in der Lage ist, einen kohärenten Reformplan vorzulegen. Infrastruktur- und Bauwerte könnten von verstärkten Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und bezahlbaren Wohnraum profitieren. Verteidigungstitel sind ein weiterer potenzieller Nutznießer, wenn die Militärausgaben angehoben werden. In geringerem Maße könnten auch der Automobil- und der Chemiesektor profitieren. Beide Branchen befinden sich zwar in einem strukturellen Niedergang, sind aber nach wie vor wichtige Arbeitgeber – und die etablierten Parteien werden bestrebt sein, den Aufstieg extremistischer Parteien in den industriellen Hochburgen Deutschlands zu verhindern.