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Blaue Anleihen: lang erwartete Innovation oder noch nicht ganz ausgereift?

Campe Goodman, CFA, Fixed Income Portfolio Manager
Will Prentis, Investment Specialist
2024-05-31
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Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind diejenigen der Autoren zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Dokuments. Andere Teams können andere Ansichten vertreten und andere Anlageentscheidungen treffen. Der Wert eines Investments kann gegenüber dem Zeitpunkt des ursprünglichen Investments steigen oder sinken. Von externen Anbietern stammende Daten werden zwar als verlässlich erachtet, doch gibt es keine Garantie für ihre Richtigkeit. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger. 

Anleihen, die bestimmte nachhaltigkeitsorientierte Projekte oder Aktivitäten finanzieren – auch bekannt als „Erlösanleihen“ oder „Use-of-Proceeds“-Anleihen – sind auf dem Vormarsch und gehören immer mehr zum Instrumentarium von Anlageexperten. Grüne Anleihen sind nach wie vor die beliebteste Form von Erlösanleihen, aber auch blaue Anleihen, mit denen Projekte zum Schutz und Erhalt der Meere unterstützt werden, rücken zunehmend in den Fokus von Anlegern, die mit ihrem Kapital etwas Positives bewirken möchten.

Wie genau funktionieren blaue Anleihen und wie effektiv sind sie? Wir haben mit Will Prentis und Campe Goodman über die sich ergebenden Anlagechancen gesprochen und erörtert, wie Rentenanleger am besten zum Schutz der Meere beitragen können. 

  • Auf die „blaue Wirtschaft“ (Blue Economy) entfallen 2,5% des globalen BIP1, und sie sichert den Lebensunterhalt von mehr als drei Milliarden Menschen weltweit2.
  • Der Ozean ist eine der größten Kohlenstoffsenken und nimmt fast 30% der globalen CO2-Emissionen auf3.
  • Die biologische Vielfalt der Meere nimmt stark ab. Steigende Meerestemperaturen und die Versauerung der Ozeane verringern den Artenreichtum und die Artenvielfalt der Meere. 

Wir haben schon von grünen Anleihen gehört, aber was ist eine blaue Anleihe? 

Will Prentis: Während mit grünen Anleihen traditionell Projekte finanziert werden, die mit breiten Umweltzielen verbunden sind, z.B. alternative Energiequellen, verbesserte Ressourceneffizienz oder die Förderung einer Kreislaufwirtschaft, wird mit blauen Anleihen Kapital für Projekte aufgebracht, die speziell die blaue Wirtschaft unterstützen: die nachhaltige Nutzung mariner Ressourcen für wirtschaftliches Wachstum, verbesserte Lebensbedingungen und Arbeitsplätze bei gleichzeitigem Erhalt der Gesundheit des marinen Ökosystems. 

Blaue Anleihen können von Staaten, Entwicklungsbanken, Unternehmen oder anderen Organisationen begeben werden. Die Emittenten dieser Anleihen finanzieren mit den Erlösen Projekte wie den Schutz und die Wiederherstellung von Korallenriffen, die Entwicklung nachhaltiger Fischerei und die Reduzierung von Plastikmüll in den Ozeanen. Für Anleger bieten blaue Anleihen eine Möglichkeit, eine finanzielle Rendite zu erzielen und gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung und den Umweltschutz zu fördern. 

Warum ist die blaue Wirtschaft für Anleger so wichtig?

Will Prentis: Unsere Ozeane und Meere spielen eine entscheidende Rolle für die Weltwirtschaft. Sie sind der Motor für Sektoren wie Fischerei, Transport, Tourismus und erneuerbare Energien. Die Meere bieten nicht nur natürliche Ressourcen, sondern auch Arbeitsplätze für Millionen von Menschen. Nach Schätzungen des Global Compact der Vereinten Nationen hat die blaue Wirtschaft einen Anteil von etwa 2,5% am weltweiten BIP – also durchaus vergleichbar mit der Größe eines ganzen Landes.  

Unsere Ozeane leiden unter Überfischung, Verschmutzung, einem Rückgang der Artenvielfalt und dem Klimawandel. Damit unsere Meere weiterhin produktiv genutzt werden können und die Menschen auch in Zukunft von wirtschaftlichem Wachstum und verbesserten Lebensbedingungen profitieren, muss das Ökosystem Ozean gesund erhalten werden.

Dennoch erhält von allen UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) das SDG 14: „Leben unter Wasser“ die geringste langfristige Finanzierung. 

Es gibt eine kritische Finanzierungslücke bei einer ökologischen Herausforderung, die die Ärmsten der Welt unverhältnismäßig hart trifft. Beispielsweise sind die Bewohner kleiner Inselstaaten, die über riesige Meeresressourcen verfügen und eine große Chance haben, ihre Wirtschaft mithilfe der Ozeane anzukurbeln, die größten Verlierer einer Verschlechterung der Meeresressourcen – durch den Verlust von Einkommen und Arbeitsplätzen, da ihre Wirtschaft von der Fischerei oder dem Tourismus abhängt.

Warum hört man gerade jetzt immer häufiger von blauen Anleihen? 

Will Prentis: Regierungen, Unternehmen und Anleger sind sich immer mehr der wichtigen Rolle bewusst, die die blaue Wirtschaft sowohl für die Umwelt als auch für die Gesellschaft insgesamt spielt. Im März dieses Jahres haben die Vereinten Nationen nach fast zwei Jahrzehnten Verhandlungen endlich ein historisches Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt der Meere erzielt. Das ist ein großer Schritt vorwärts, aber ich denke, es zeigt auch, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. 

Es gibt auch ein wachsendes Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Klimawandel und unseren Ozeanen: Es wird geschätzt, dass die Ozeane 30% der globalen CO2-Emissionen aufnehmen4. Daher ist die Gesundheit der Ozeane für die Bewältigung des Übergangs zu einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.

Die Marktteilnehmer sind sich auch des enormen Finanzierungsbedarfs und des Umfangs der Anlagechancen bewusst, die sich innerhalb der größten Anlageklasse der Welt ergeben. Blaue Anleihen wurden bisher nur relativ selten begeben, meist unter der Leitung von Entwicklungsbanken und bestimmten Staaten. So unterstützte die Weltbank beispielsweise die Seychellen bei der Emission der weltweit ersten blauen Staatsanleihe im Jahr 2018. Neuerdings zeigen aber auch Unternehmen Interesse an dieser Struktur.

Was müssen Investoren vor einer Anlage wissen? 

Campe Goodman: Es besteht ein echter Bedarf an Investitionen in die blaue Wirtschaft. Anleihen zum Schutz der Meere sollten in der einen oder anderen Form Teil der Lösung zum Erhalt unserer Meere sein. 

Es hat sich jedoch immer wieder gezeigt, dass Innovationen im Bereich nachhaltiger Kapitalanlagen Zeit brauchen, bis sie ausgereift sind. Wir gehen neue Ideen mit Vorsicht und sorgfältiger Analyse an und glauben an eine unabhängige Bewertung der einzelnen Anleihen und Emittenten, die wir in Betracht ziehen. Ein Gütesiegel – selbst das eines Unternehmens, das sich mit Nachhaltigkeitsratings einen Ruf gemacht hat – ist keine Wirkungsgarantie. 

Bei jeder Anleihe, die wir analysieren, prüfen wir, wie sie die drei Grundprinzipien unserer Impact-Philosophie erfüllt: Wesentlichkeit, Additionalität und Messbarkeit. Wir fragen: Inwieweit steht die Verwendung der Erlöse aus der Anleihe im Einklang mit unseren Impact-Themen? Ist die Finanzierung für laufende oder zukünftige Projekte bestimmt? Gehen die Projekte über die normale Geschäftstätigkeit hinaus? Können wir die wichtigsten Impact-Leistungskennzahlen messen und verfolgen?

Ein Bereich, in dem wir nach wie vor vorsichtig sind: Debt-for-Nature Swaps. Bei dieser Art von strukturierten Transaktionen gewährt ein Gläubiger einem Staat normalerweise einen Schuldenerlass und dieser verpflichtet sich im Gegenzug, einen Teil der eingesparten Schulden in den Meeresschutz zu investieren. Eine solche Vereinbarung klingt verlockend. Im Idealfall könnte sie Investoren, Kreditnehmern und dem Meer zugutekommen. Aufgrund der Komplexität der Struktur ist ihre Umsetzung in der Regel aber kostspielig. In vielen Fällen erscheint uns der Nutzen für die blaue Wirtschaft im Verhältnis zum Transaktionsvolumen gering. Da nur ein Bruchteil der Erlöse aus blauen Anleihen in ozeanbezogene Projekte fließt, stehen wir der aktuellen Generation von blauen Anleihen, die Debt-for-Nature Swaps beinhalten, oftmals skeptisch gegenüber, obwohl wir diese neue Struktur gerne enthusiastisch befürworten würden. 

Mit Blick auf die Zukunft sehen wir aber Grund für Optimismus. Immer mehr blaue Anleihen werden nach der traditionelleren Struktur der zweckgebundenen Erlösverwendung begeben, wie wir sie von grünen Anleihen kennen. Wenn die Strukturen von Blue Bonds vereinfacht und stärker standardisiert werden, sollte es für Anleger wie uns leichter werden, die Wirkung unserer Investments zu messen und darüber zu berichten. 

Natürlich ist eine solide Impact-These nur der erste Schritt für unsere Kaufentscheidung. Wir führen für jede potenzielle Anleiheninvestition eine gründliche Kreditanalyse durch, um festzustellen, ob sie sowohl die finanziellen als auch die Impact-Ziele erfüllen kann. 

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Marktes für blaue Anleihen? 

Will Prentis: Wir rechnen mit weiterem Interesse an blauen Anleihen, insbesondere vor dem Hintergrund des jüngsten historischen UN-Abkommens zum Schutz der marinen Artenvielfalt. Die Marktteilnehmer sind sich des Umfangs der erforderlichen Finanzierungen und der damit verbundenen Chancen zunehmend bewusst. 

Blaue Unternehmensanleihen werden noch relativ selten begeben. Das liegt zum einen an der Neuheit dieser Struktur und zum anderen daran, dass Unternehmen als Emittenten in der Regel weniger direkt den Risiken und Chancen der Meere ausgesetzt sind. Wir erwarten jedoch weitere Emissionen von Unternehmen, sobald sich die Standards für Struktur und Offenlegung am Markt verbessert haben. Die Nachfrage der Anleger könnte durchaus steigen, wenn die Strukturen einfacher und transparenter werden. 

Wie würden Sie die Anlagechancen im Bereich blaue Anleihen zusammenfassen? 

Campe Goodman: Das Wachstum und die Innovationskraft in diesem Bereich sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wie das Angebot an Impact-Investments an den öffentlichen Rentenmärkten zunimmt. Wir sind davon überzeugt, dass der Markt für grüne Anleihen heute größer und qualitativ hochwertiger ist, als er es noch vor fünf Jahren war, und wir sind zuversichtlich, dass sich blaue Anleihen ähnlich entwickeln werden. Leitlinien von Aufsichtsbehörden und Ratingagenturen, Feedback von nachhaltig orientierten Anlegern und die Angleichung der Strukturen für blaue Anleihen werden zu verstärkten Investitionen in die blaue Wirtschaft führen. 

Ob mit oder ohne Gütesiegel: Wir setzen uns weiterhin für einen researchorientierten Bottom-Up-Ansatz beim Impact Investing ein. Wir verfolgen bei jeder Anlagemöglichkeit einen gut durchdachten, unabhängigen Ansatz und sind davon überzeugt, das Kapital so eingesetzt werden kann, dass sowohl Wirkungs- als auch Finanzziele erreicht werden können. 

1United Nations Global Compact | 2OECD | 3World Resources Institute | 4OECD

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